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Wort / Word
Gedanken, Ges(ch)ichtetes und Gedichtetes / Thoughts, (spotted) stories and poetry

Über Demut und Auszeit oder: friedliche Koexistenz

Unser Planet ist eine überwältigend artenreiche und faszinierend schöne Welt. Flora und Fauna, aber auch die sogenannte „unbelebte Natur“, zeigen sich in einer schier unermesslichen Zahl an Arten und Weisen, zeichnen sich aus durch eine überwältigende Varianz an Formen, Texturen und Farben – ein buntes Universum an Diversität! Absolut nichts davon ist zufällig oder geschieht grundlos. Alles erfüllt (s)einen Zweck und hat somit (s)eine Funktion. Alle im natürlichen System enthaltenen Elemente sind inhärent. Diese in sich fein abgestimmte Balance des Lebens hält die Natur seit Milliarden von Jahren aufrecht. Sie reagiert kreativ und lösungsorientiert auf Widerstände und funktioniert fortlaufend systemoptimierend. Voller Bewunderung ziehe ich vor dieser begnadet nachhaltigen Gesamtgestaltungsleistung meinen Künstler- bzw. Designer-Hut.

Der Mensch hat in der Millionen Jahre dauernden Karriere seiner Evolution dieses minutiös justierte System kräftig ins Wanken gebracht. Die Wucht rührt dabei in erster Linie daher, dass alles von Menschenhand Gemachte bislang größtenteils nicht irdischen, d.h. zirkulären Prinzipien unterliegt. Die ohnehin knapp gewordenen Ressourcen werden mit brutal(st)em, egomanem und daher gefährlichem Selbstverständnis kontinuierlich frenetisch verpulvert, um dem mehr und mehr ad absurdum geführten kollektiven Fetisch eines "Höher, Schneller, Weiter" zu genügen. Nichts scheint (mehr) heilig bzw. unantastbar. Selbst der weitestgehend unerforschte Lebensraum der Tiefsee, mit seinen zu 90% bislang noch nicht charakterisierten, also namenlosen Spezies (1), wird hierbei gnadenlos überrannt und so leichtfertig zerstört. Das ahnungslose Vorstoßen des Menschen gleicht auch hier dem einer invasiven Art.
(1) https://www.dw.com/de/warum-wissen-wir-so-wenig-%C3%BCber-die-tiefsee/a-59756647

Das Hauptproblem dieses Verhaltens ist zuallerst die Diskrepanz zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen, in unterschiedlichen Geschwindkeiten ablaufenden Systemen: einerseits das der Natur und andererseits das des Menschen.(2) Dieser in der Theorie scheinbar bestechend einfach zu identifizierende Konflikt zeigt sich am deutlichsten am Phänomen der Rastlosigkeit des an Dauerverwertung ausgerichteten Kapitalismus. "Wer rastet, der rostet!", heißt es. "Zeit ist Geld!" Alles immer also, und am besten sofort! Wir sind gehetzt und hetzen — Regeneration: absolute Fehlanzeige! Pausen sind Mangelware in einem einzig am vermeitlich ewigen Wachstum orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell.
(2) https://longnow.org/people/sb2/
Dies ist auf vielfältige Weise fatal, sind Ruhezeiten doch die Voraussetzung für ausgleichendes Wiedererblühen des zuvor ertragreich Geernteten. Pausen dienen der Rekonvaleszenz, v.a. auch in dem durch den Homo kapitalozänsis geprägten, symptomgeplagten System des "Take-Make-Consume-Waste" (3). Es ist daher allerhöchste Zeit, der Fähigkeit zur grundsätzlichen Wertschätzung einen neuen Stellenwert einzuräumen. Erst wenn wir uns als Gemeinschaft wieder als Teil der uns umgebenden Natur verstehen, wir sie also endlich (wieder) als Mitwelt begreifen, wird sich unsere vermeintliche Überlegenheit zugunsten einer Gleichheit — eines Agierens auf Augenhöhe — überwinden lassen können.
(3) https://c2c.ngo/

Dem Begriff der Demut kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Demut, die sich in einem Gefühl der Ehrfurcht unserem Heimatplaneten gegenüber manifestiert, ist die Grundvoraussetzung für einen respektvollen Umgang mit dem auf ihr entstandenen Leben. Das vergleichsweise junge Alter des Menschen sollte für uns alle wahrlich Anlass genug sein, der 4,6 Milliarden Jahre alten Erde mit der entsprechenden Ergebenheit zu begegnen. Die Natur hat einen stets ausgleichenden Charakter. Sie ist, an sich, uneingeschränkt. Werden ihr jedoch sämtliche Grundlagen entzogen, ihre lebensschaffenden und -erhaltenen Prozesse permanent, ja pausenlos unterlaufen, ist ihr Sein-an-sich schlicht nicht mehr möglich. Ihr ursprünglicher Selbstzweck ist damit bedroht.
Unsere Kommunikations- und Informationskultur hat allein innerhalb der letzten Dekade enorm an Fahrt aufgenommen. Durch die 24/7-Vernetzung hat sich einerseits die Tatsache über die Gleichzeitigkeit globaler Ereignisse im menschlichen Bewusstsein etabliert. Über zahllose Kanäle wird andererseits eine nicht mehr überschaubare Flut an Inhalten jeglicher Art offenbar. Die Grundlage des von Tech-Giganten besessenen und dadurch dominierten Social Media-Terrains bilden auf “alternativen Fakten” basierende, fortwährend produzierte Schock-Nachrichten. Extreme Botschaften sind der Treibstoff dieses Systems der Unwahrheit(en). Totalitäre politische Kräfte heizen diese Hetzjagd aus reinem Selbsterhaltungstrieb an. Digitale Meinungsräume überlagern sich mit realen; das einst analog Unaussprechliche wird leichtfertig getippt — und schließlich enthemmt gebrüllt. Dem als unantastbar Geglaubten droht die Entweihung. Dies gefährdet vor allem unser soziales Miteinander in einem längst überwunden geglaubten und erhofften Ausmaß. Und es lenkt ab, vom Wesentlichen, vom eigentlich Notwendigen. Auf rasen folgt hetzen, hasten, heiß laufen, befeuern, anfachen, überhitzen, Feuer fangen und schließlich brennen.
Dieser Form jenes Schwindel erzeugenden und erregenden, längst überheiß gelaufenen Turbokapitalismus stehen menschenwürdige Werte im Weg. Und wo letztere in Frage gestellt, nein: verachtet werden, kann Natur schlicht kein ehrbarer Platz eingeräumt werden. Zur bloßen Ware degradierten Arten wird jegliche Würde abgesprochen. Die komplette Unterwerfung alles Natürlichen unter die Bedingungen marktorientierter Interessen, ist Ausdruck einer falsch verstandenen, weil widernatürlichen Form von Wachstum. Sie hetzt entlang einer künstlichen, an reinem Gewinninteresse orientierten Kurve und lässt Prinzipien natürlicher Zyklen, bestimmt durch essenzielle Phasen regenerativen Ausgleichs, vollkommen außer Acht.
Die Ballung aktueller Krisen zeigt deutlich, dass die Menschen gemachten Systeme einem enormen Stresstest ausgesetzt sind und somit auch wir selbst als Weltgemeinschaft (— wenngleich die dabei auftretenden Probleme, je nach geologischer Lage und kulturellem Raum, selbstverständlich stark im Grad ihrer jeweiligen Härte variieren!). Dadurch scheint es fast etwas gewagt, an die ihnen zugrunde liegende Natur und ihren Schutz erinnern zu wollen. Aber ist es, angesichts aller aufgezeigter Konflikte, daher nicht geradezu fundamental, (immer wieder auch) aufzuzeigen, dass diese Welt als solche ein beeindruckendes, in sich ergreifend stimmiges und wunderschönes Gesamtkunstwerk ist? Ist diese Perspektive nicht viel mehr als ein profaner, kitschig-verklärter Blick, vorbei an den eigentlichen Realitäten?

Die Fakten über den Zustand dieser Erde und über unsere auf ihr errichteten Welt, liegen mit größtmöglicher Klarheit auf der Hand. Entsinnen wir uns also wieder eindeutig unserer irdischen Herkunft – und damit Verantwortung – und transformieren unser(e) System(e), anstatt fortdauernd fröhlich am eigenen Ast zu sägen! Die essenzielle Balance zwischen Geben und Nehmen/Nehmen und Geben ist dabei von zentraler Bedeutung. Wer Ressourcen nimmt, sollte sich quasi auch vollautomatisch verpflichtet sehen, Zeit zur Regeneration zurückzugeben; und wenn schon nicht moralisch, dann wenigstens aus einem simplen Grundverständnis heraus. Das Prinzip der friedlichen Koexistenz meint dabei, dass wir die gütig-gebende Kraft der Natur wahrnehmen und wertschätzen. Der resiliente Charakter ihres Seins-an-sich gleicht sogar scheinbar irreparable Schäden aus und lässt regenerativ an ihrer statt neues Leben entstehen. Ohne den heilsamen Faktor Zeit jedoch, wird diesem Prozess jegliche Grundlage entzogen und Leben im Keim erstickt. Das lebendige System Erde also unentwegt entgegen seiner eigentlichen Natur größtenteils ausschließlich in Richtung menschlicher Bedürfnisse zu zwingen, gleicht einer Diktatur, die dringend durch ein Gesellschaftsprinzip des Anstands und Respekts ihr gegenüber ersetzt werden muss. Nutzen wir also unseren etablierten Wohlstand und das auf dessen Basis generierte Wissen zum Wohle der Erde inklusive ihrer Bewohner. Und fühlen wir uns, trotz aller gegenteilig propagierten Glaubenssätze, (endlich wieder) wohl dabei, regelmäßig bewusst Auszeiten einzulegen, um uns so der Notwendigkeit von Regeneration bewusst zu werden. Gehetzt wird immerhin bereits mehr als genug.



About humility and time out or: peaceful coexistence

Our planet is an overwhelmingly species-rich and fascinatingly beautiful world. Flora and fauna, as well as so-called "inanimate nature", appear in an almost immeasurable number of ways and are characterized by an overwhelming variety of shapes, textures and colors - a colorful universe of diversity! Absolutely nothing of this is random or happens without reason. Everything serves a purpose and therefore has a function. All elements contained in the natural system are inherent. Nature has maintained this finely tuned balance of life for billions of years. It reacts creatively and solution-oriented to resistance and continually functions in a system-optimizing manner. Full of admiration, I take my artist and designer hat off to this gifted, sustainable overall design achievement.

In the millions of years of human evolution, man has caused this meticulously calibrated system to wobble. The force of this comes primarily from the fact that everything man-made is largely subject to non-earthly, i.e. circular, principles. Resources, which have already become scarce, are continually and frenetically squandered with a brutal, egomaniacal and therefore dangerous self-image in order to satisfy the increasingly absurd collective fetish of "higher, faster, further". Nothing seems sacred or untouchable (anymore). Even the largely unexplored habitat of the deep sea, with its 90% as yet uncharacterised, i.e. nameless species (1), is being mercilessly overrun and carelessly destroyed. Here, too, man's unsuspecting advance resembles that of an invasive species.
(1) https://www.dw.com/de/warum-wissen-wir-so-wenig-%C3%BCber-die-tiefsee/a-59756647

The main problem with this behaviour is first and foremost the discrepancy between two fundamentally different systems which operate at different speeds: that of nature on the one hand and that of man on the other.(2) This conflict, which seems strikingly easy to identify in theory, is most clearly evident in the phenomenon of the restlessness of capitalism, which is geared towards permanent exploitation. "If you rest, you rust!", as the saying goes. "Time is money!" So everything, all the time, and preferably immediately! We are rushed and rushing—regeneration: absolutely nonexistent! Breaks are in short supply in an economic and social model which is solely oriented towards supposedly eternal growth.
(2) https://longnow.org/people/sb2/
This is fatal in many ways, since rest periods are the prerequisite for the balancing re-blooming of what was previously harvested. Breaks serve the purpose of convalescence, especially in the symptom-plagued system of "take-make-consume-waste" (3) shaped by Homo capitalocensis. It is therefore high time to give new importance to the ability to fundamentally appreciate things. Only when we as a community once again see ourselves as part of the nature around us, when we finally see it (again) as a shared world, will our supposed superiority be able to be overcome in favor of equality - of acting on an equal footing.
(3) https://c2c.ngo/

The concept of humility is of central importance here. Humility, which manifests itself in a feeling of awe towards our home planet, is the basic prerequisite for treating the life that has arisen on it with respect. The comparatively young age of humans should truly be reason enough for all of us to approach the 4.6 billion year old Earth with the appropriate devotion. Nature always has a balancing character. It is, in itself, unlimited. However, if all its foundations are taken away from it, if the processes that create and sustain life are permanently, even continuously, undermined, its existence in itself is simply no longer possible. Its original purpose in itself is thus threatened.
Our communication and information culture has gained enormous momentum in the last decade alone. On the one hand, 24/7 networking has established the fact that global events occur simultaneously in human consciousness. On the other hand, an unmanageable flood of content of all kinds is revealed via countless channels. The basis of the social media terrain, which is owned and dominated by tech giants, is constantly produced shock news based on "alternative facts". Extreme messages are the fuel of this system of untruth(s). Totalitarian political forces are fueling this witch hunt out of pure self-preservation. Digital spaces of opinion overlap with real ones; what was once unspeakable in analog form is typed carelessly - and finally shouted uninhibitedly. What was believed to be untouchable is threatened with desecration. Above all, this endangers our social coexistence to an extent that was long thought to have been overcome and hoped for. And it distracts from the essentials, from what is actually necessary. Rushing is followed by rushing, running hot, firing up, fanning the flames, overheating, catching fire and finally burning.
This form of dizzying and exciting turbo capitalism, which has long since run overheated, is in the way of humane values. And where the latter are questioned, no: despised, nature simply cannot be given an honorable place. Species that have been reduced to mere commodities are denied any dignity. The complete subjugation of everything natural to the conditions of market-oriented interests is an expression of a misunderstood, because unnatural, form of growth. It rushes along an artificial curve oriented purely towards profit and completely ignores the principles of natural cycles, determined by essential phases of regenerative balance.
The concentration of current crises clearly shows that man-made systems are being subjected to enormous stress tests, and so are we as a global community (— although the problems that arise naturally vary greatly in their severity depending on the geological location and cultural area!). This makes it seem almost a little daring to want to remind us of the nature underlying them and how we can protect them. But in view of all the conflicts that have been highlighted, is it not fundamental to show (again and again) that this world as such is an impressive, movingly coherent and beautiful work of art? Isn't this perspective much more than a profane, kitschy, idealized view that ignores the actual realities?

The facts about the state of this earth and the world we have built on it are as clear as possible. So let us remember our earthly origins – and with them our responsibility – and transform our system(s) instead of constantly happily sawing off our own branch! The essential balance between giving and taking/taking and giving is of central importance here. Those who take resources should, as it were, automatically see themselves as obliged to give back time for regeneration; and if not morally, then at least from a simple basic understanding. The principle of peaceful coexistence means that we perceive and appreciate the benevolent power of nature. The resilient character of its existence in itself compensates for even seemingly irreparable damage and allows new life to arise regeneratively in its place. Without the healing factor of time, however, this process is completely undermined and life is nipped in the bud. Constantly forcing the living system of the earth, contrary to its true nature, to largely meet human needs, is like a dictatorship that urgently needs to be replaced by a social principle of decency and respect for the earth. So let us use our established prosperity and the knowledge generated on this basis for the benefit of the earth and its inhabitants. And let us (finally again) feel comfortable, despite all the beliefs propagated to the contrary, taking regular, conscious time outs to become aware of the need for regeneration. After all, there is already more than enough rushing around.
 

Foto: Vecteezy/Matt Cole

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© Dipl.-Designer Christian Jammrath. Alle Rechte vorbehalten. / All rights reserved.

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