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Wort / Word
Gedanken, Ges(ch)ichtetes und Gedichtetes / Thoughts, (spotted) stories and poetry

Über Musik

Fast könnte man meinen, es sei unmöglich, ihr nicht zu begegnen. Musik spielt im modernen Kontext eine tragende Rolle. Sie scheint überall und allgegenwärtig zu sein. Musiklose Orte sind schwer zu finden, denn wo Menschen sind, ist in irgendeiner Form auch meist Musik. Dabei ist ihre Definition äußerst dehnbar. Gerade im Laufe des letzten Jahrhunderts entstehen, nicht zuletzt als Antwort auf die laute technische Revolution, schier unendlich viele Formen der Musik. (...) Sie greifen den Lärm des Technikfortschritts teilweise als Thema auf und erheben ihn zur Kunst. Je lauter die Gegebenheiten, desto angestrengter ist der Versuch, die neue Lautstärke im gesellschaftlichen Rahmen zu etablieren. Musik und zivilisatorischer Krach gehen Hand in Hand, scheinen beinahe nicht mehr voneinander unterscheidbar zu sein. Diese Tendenz hält in einem ungleich weiteren Sinne bis heute an.
Musik ist in der postmodernen Welt zu einer absoluten Selbstverständlichkeit geworden, hinterfragt wird ihre Existenz im Alltag so gut wie nie. Sie ist einfach da. Man hört sie draußen und drinnen, macht sie lauter und leiser, schaltet sie nach Belieben ein oder aus, lädt sie runter oder kopiert sie, hört sie parallel zu anderen Tätigkeiten oder ganz bewusst. Doch stopp! Wenn man ganz ehrlich ist, geschieht letzteres wohl nur noch in den allerseltensten Fällen. Sie berieselt uns oft ganz nebenbei. Das ist wirklich schade, ist Musik doch eigentlich ein wertvolles kulturelles Gut, dem deutlich mehr auditive Aufmerksamkeit zustünde. Sie beschallt (bei gleichgültiger Haltung) den modernen Menschen von früh bis spät und macht ihm das Erkennen des wahren Wertes von Musik größtenteils überaus schwer. Musik kann für das bewusste Individuum durch ihre Dauerpräsenz, gerade im öffentlichen Bereich, zur Qual werden. Überall wird man betönt, meist ohne etwas dagegen tun zu können. Längst ist Musik in weichgespülten Formen schon Instrument eines gut funktionierenden Marketingsystems, das seine Hörer dauerhaft und eigennützig bezirzt. Musiklose, stille Orte bezichtigt man nämlich einer den Konsum hemmenden und damit absatzschädlichen Wirkung.(1) Musik wird daher mehr und mehr zu einem lärmenden Produkt unserer Überflussgesellschaft degradiert, ist (zumindest was ihren Löwenanteil betrifft) der Gefahr absoluter Beliebigkeit ausgesetzt und büßt in überwiegendem Maße ihren Stellenwert als bedeutendes Kulturgut ein. Dass an dieser Stelle jedoch bitte kein Missverständnis entsteht: Musik ist toll, gerade auch wegen ihrer Facettenreiche. Pop muss nicht gezwungenermaßen gleichbedeutend sein mit schlecht. Im Gegenteil! Was aber den Wert der Musik mindert, ist ihre mitunter maßlose Omnipräsenz. Sie wird zu einem lärmenden Faktor, zu einer übertriebenen akustischen Größe.

Absolute Stille ist eine Seltenheit. Überall. In der Natur gibt es kaum eine Spezies, die sich vollkommen lautlos durch den Raum bewegt, bewegen könnte. Leben bedeutet Bewegung, Bewegung evoziert Geräusche. Abgesehen von federleichten Insekten oder anderen mikroskopisch kleinen Lebewesen vielleicht, bereitet die Fauna stets auf irgendeine Weise ein für den Menschen wahrnehmbares Geräusch, klingt artspezifisch so oder so. Durch das Rauschen des Waldes und der Felder teilt sich uns selbst die Flora mit. Alles klingt! Und doch würde man wohl schwerlich diesen natürlichen Klang als Lärm bezeichnen. Selbst der sich am lautesten trompetend mitteilende Elefant wäre wohl noch Musik in unsern Ohren und würde kaum in den Bereich der Ruhestörung fallen (zoonah Wohnende mögen dies vielleicht bezweifeln). Ein Gewitter donnert und kracht, es fährt vielleicht in Mark und Bein und dennoch bleibt es akustisch angenehm bzw. für uns erträglich. Natur darf dementsprechend lauter sein, die Stille durchbrechen, ohne dass sie dem Menschen dabei als übertriebene Lautstärke vorkäme. Das liegt zum einen daran, dass sich Schall in weiträumigen Gebieten, im Gegensatz zum oft begrenzten Platzangebot in der Stadt, einfach besser verteilt. Zum anderen aber auch daran, dass der Mensch Lärm als solchen erst dann empfindet, wenn er mit Artefakten, das heißt von menschgemachten Objekten, produziert wird. Je mehr sich der Mensch also von der Natur, seinem eigentlichen Umfeld entfernt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich in einem künstlich erzeugten Klangumfeld bewegt. Abgesehen von sporadischen Begegnungen mit der Natur, hat der zivilisierte Mensch weitestgehend den Kontakt zu seiner Umwelt verloren – und damit auch einen Zugang zu natürlichen, wohltuenden Geräuschen. Die natürlichen Pausen und Ruhemomente, die in der Natur zu ihrem biologischen Ablauf gehören, verschwinden weitestgehend durch die Unterbrechung des natürlichen Kreislaufes aufgrund der modernen Rund-um-die-Uhr-Mentalität. Alles ist immer und überall möglich. Das ist zwar manchmal ganz schön, doch entspricht es streng genommen nicht dem menschlichen Wesen. Der zeitgenössische Mensch hat mit seinem Wirken der Stille scheinbar gar den Kampf erklärt. Er arbeitet zielgerichtet an ihrer Verbannung. War der Zustand der Stille in vergangenen Epochen, vor allem in der Literatur, überwiegend positiv besetzt, erscheint er im modernen Kontext hauptsächlich negativ gefärbt und gilt beinahe gänzlich als Ausnahmezustand. Nicht umsonst redet man etwa von „eisiger Stille“ oder „Todschweigen“. Das heutige zivilisierte Individuum bekämpft die Stille vorwiegend wie einen Unglück bringenden Feind.(2)

Ist also die moderne „Angst“ vor der Stille nicht nur die logische Schlussfolgerung aus der Entfremdung des Menschen von der Natur? Der Mensch ist über weite Strecken zivilisatorisch „isoliert“ und büßt damit seine ursprüngliche Rücksprache mit der Natur ein. So steigt der künstlich erzeugte Geräuschpegel auffällig je naturentfernter bzw. verstädterter das jeweilige menschliche Umfeld ist. Artifizielle Geräuschkulissen wirken gegen den modernen Zustand der Abgeschnittenheit vom Ursprünglichen. Musik (auch im weitesten Sinne) gibt dem „verlorenen“ Individuum dabei ein Gefühl der Zugehörigkeit, befreit es zeitweilig aus seiner eigentlich stillen, zivilisierten Abgeschiedenheit. Dem verunsicherten, modernen Menschen dient Musik sozusagen als Versicherung für das eigene Dasein.
Wenn dauertönende, allgegenwärtige Musik also die Stille vertreibt, müsste es doch umgekehrt auch möglich sein, sich durch einen achtsamen Umgang mit der Stille wieder des eigentlichen Wertes von Musik bewusst zu werden. Die Ruhe – auch als musikalisches Thema – kann eine Alternative bieten zum heutigen tosenden Leben, den Lärm zumindest zeitweilig ersetzen und das Gehörte wieder zur Besonderheit machen. Mit Stille gegen den Radau des modernen Alltags wäre also die längst notwendige Umkehr des Ganzen.
Diese Diplomarbeit beschäftigt sich vor allem mit dem Phänomen der passiven, bedauerlicherweise oft forcierten Musikrezeption. Sie will Gründe dafür finden, warum und wie wir in Punkto Musik hören, was wir hören. Sie wird aufzeigen, was die Wirkung von Musik auf den Menschen genau ausmacht, mit deren Hilfe sie zu einer regelrechten Allzweckwaffe des Alltags hat werden können. Es soll der Ursprung der Faszination für ein Medium beleuchtet werden, das uns eigentlich Kraft geben sollte, sie uns aufgrund seiner Allgegenwart aber leider viel zu oft raubt. Könnte man gegebenenfalls diese musikalische Kraft für den Einzelnen nicht sogar nutzbar machen; nicht gegen ihn verwenden also, sondern für ihn?
Der Fokus ist dabei auf unser abendländisches, musikkulturelles Umfeld gerichtet, als eine Möglichkeit unter einer weltweiten Vielfalt von Formen der Musik. Seine Entwicklung soll kritisch hinterfragt werden, um schließlich dann aufzuzeigen, dass und vor allem wie Musik, aus geistes- und naturwissenschaftlicher Sicht, zu allererst im Menschen entsteht.

(1) www.wikipedia.org/wiki/Stille
(2) Vogel, Thomas. Über das Hören. Einem Phänomen auf der Spur. Attempto. Tübingen: 1996. S. 82 ff.


 
About music

One could almost think that it is impossible not to encounter it. Music plays a key role in the modern context. It seems to be everywhere and omnipresent. Places without music are hard to find, because where there are people, there is usually music in some form. The definition of music is extremely flexible. In the course of the last century in particular, an almost infinite number of forms of music have emerged, not least as a response to the loud technological revolution. (...) Some of them take up the noise of technological progress as a theme and elevate it to the status of art. The louder the circumstances, the more strenuous the attempt to establish the new volume within the social framework. Music and the noise of civilization go hand in hand, and seem almost indistinguishable from one another. This tendency continues to this day in a much broader sense.

In the postmodern world, music has become an absolute matter of course, and its existence in everyday life is almost never questioned. It is simply there. You hear it inside and outside, you turn it up and down, you switch it on or off as you please, you download it or copy it, you listen to it while doing other things or you listen to it consciously. But stop! If we are completely honest, the latter only happens in the rarest of cases. It often just washes over us in passing. That is a real shame, as music is actually a valuable cultural asset that deserves much more auditory attention. It bombards modern people from morning to night (if they are indifferent) and makes it extremely difficult for them to recognize the true value of music. Music can become torture for the conscious individual due to its constant presence, especially in public areas. You are bombarded with sound everywhere, usually without being able to do anything about it. Music in its watered-down form has long been an instrument of a well-functioning marketing system that charms its listeners in a permanent and selfish way. Quiet places without music are accused of inhibiting consumption and thus damaging sales.(1) Music is therefore increasingly being degraded to a noisy product of our affluent society, is exposed to the danger of absolute arbitrariness (at least as far as the lion's share is concerned) and is largely losing its status as an important cultural asset. But please don't misunderstand anything here: music is great, especially because of its many facets. Pop does not necessarily have to be synonymous with bad. On the contrary! What reduces the value of music, however, is its sometimes excessive omnipresence. It becomes a noisy factor, an exaggerated acoustic quantity.

Absolute silence is a rarity. Everywhere. In nature there is hardly a species that moves through space, or could move, completely silently. Life means movement, movement evokes sounds. Apart from perhaps feather-light insects or other microscopic creatures, fauna always produces a sound that humans can perceive in some way, sounds species-specific in one way or another. Even the flora communicates with us through the rustling of the forest and fields. Everything sounds! And yet one would hardly describe this natural sound as noise. Even the loudest elephant trumpeting would still be music to our ears and would hardly be considered a disturbance of the peace (those living close to zoos may doubt this). A thunderstorm thunders and crashes, it may go right through your bones and yet it remains acoustically pleasant or bearable for us. Nature can therefore be louder, breaking through the silence, without it seeming excessively loud to humans. This is partly because sound is distributed better in large areas, in contrast to the often limited space in the city. But it is also because people only perceive noise as such when it is produced by artifacts, i.e. man-made objects. The further people move away from nature, their actual environment, the greater the probability that they are moving in an artificially created sound environment. Apart from sporadic encounters with nature, civilized people have largely lost contact with their environment - and with it access to natural, soothing sounds. The natural breaks and moments of rest that are part of nature's biological process are largely disappearing due to the interruption of the natural cycle due to the modern round-the-clock mentality. Everything is possible anytime and anywhere. That may be nice sometimes, but strictly speaking it does not correspond to human nature. Contemporary man has apparently even declared war on silence with his actions. He is working purposefully to banish it. While the state of silence was predominantly positive in past eras, especially in literature, in the modern context it appears to be mainly negative and is almost entirely considered an exceptional state. It is not without reason that people talk about "icy silence" or "dead silence". Today's civilized individual fights silence primarily as an enemy that brings misfortune.(2)

So is the modern "fear" of silence not just the logical conclusion of man's alienation from nature? Man is "isolated" from civilization for long stretches and thus loses his original connection with nature. The artificially generated noise level increases noticeably the further away from nature or the more urbanized the respective human environment is. Artificial background noises work against the modern state of being cut off from the original. Music (also in the broadest sense) gives the "lost" individual a feeling of belonging, temporarily freeing him from his actually quiet, civilized isolation. For the insecure, modern man, music serves as insurance for his own existence, so to speak. If constant, omnipresent music drives away silence, then it should also be possible, conversely, to become aware of the actual value of music again by dealing with the silence with care. Peace – also as a musical theme – can offer an alternative to today's noisy life, replacing the noise at least temporarily and making what we hear something special again. Using silence to counter the noise of modern everyday life would be the long-overdue reversal of the whole thing.
This thesis is primarily concerned with the phenomenon of passive, unfortunately often forced, music reception. It aims to find reasons why and how we hear what we hear when it comes to music. It will show what exactly constitutes the effect of music on people, with the help of which it has become a veritable all-purpose weapon in everyday life. It will shed light on the origins of the fascination with a medium that should actually give us strength, but unfortunately robs us of it far too often due to its omnipresence. Couldn't this musical power even be used for the individual; not used against him, in other words, but for him? The focus is on our Western, musical culture environment, as one possibility among a worldwide variety of forms of music. Its development will be critically questioned in order to finally show that and above all how music, from a humanities and natural sciences perspective, first and foremost arises in people.

(1) www.wikipedia.org/wiki/Stille
(2) Vogel, Thomas. Über das Hören. Einem Phänomen auf der Spur. Attempto. Tübingen: 1996. S. 82 ff.

Foto: Vecteezy/nai.rmtango249756

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